... Was ich nicht sehe, ist dein Gesicht
Carlotta lebt in einer Welt ohne Gesichter. Diese verschwimmen einfach vor ihren Augen, stehen niemals still, als rühre einer mit einem Löffel darin herum. Das Gesicht ihrer Mutter, ihr eigenes Gesicht - nie hat sie diese gesehen. Und so schaut sie anders auf die Menschen. Sie schaut in ihr Inneres. Und sieht, dass viele Menschen sie nicht verstehen.
Sie geht allein durchs Leben, als Kind, als Frau, nun mit 60 Jahren. Ihre Begleiter sind die Natur, die Tiere, ihr Traumtagebuch, das Filmen, die Malerei. Ein Pferd stand 40 Jahre an ihrer Seite. Sein Gesicht kann sie bis ins Detail beschreiben. Als es starb, war ihr Leben ein anderes.
Mehr als Eintausend Selbstporträts hat sie gezeichnet, im Dunkeln, sie zeichnet, was sie tastet. In ihre Bilder fließt ihre Seele, ihre Sehnsucht, ihre Wut. Ab und an so viel Wut, dass es das Papier zerreißt. Meist so viel Seele, dass ihre Bilder Menschen in Galerien tief berühren. Sie eröffnen eine verborgene Welt.
Etwa zwei Prozent der Weltbevölkerung haben diese seltsame Wahrnehmungsstörung. Doch gesichtsblinde Menschen sind keineswegs so hilflos, wie man annehmen sollte. Im Gegenteil. Unter ihnen befinden sich Hochbegabte und Wissenschaftler wie Jane Goodall und Oliver Sacks. Auch der bekannte Maler Chuck Close sowie Prominente wie Victoria von Schweden und Hollywoodstar Brad Pitt sind gesichtsblind.
Lorenz Wagner begleitet Carlotta in ihrem Alltag, in der Natur, in ihrem Atelier, in ihrer eigenen Welt. Ein erzählerisches Porträt einer starken, liebenswerten, hochintelligenten und eigenwilligen Frau.