Mit schätzungsweise einem Drittel der Bevölkerung bilden die Aleviten, die im Osmanischen Reich aufgrund ihrer heterodoxen Glaubensvorstellungen und religiösen Praktiken massiv verfolgt wurden, nach den Sunniten die größte Glaubensgemeinschaft in der Türkei. Nicht wenige orthodoxe Sunniten und Aleviten definieren sich über Religion und beziehen sich dabei auf den Islam, teilen aber jeweils ein unterschiedliches Islamverständnis, wonach sie den jeweils anderen als "unislamisch" ablehnen. Obwohl Aleviten sich also zum Islam bekennen, gelten sie bei vielen Sunniten wegen ihrer unorthodoxen Auslegung des Islam und ihren "heidnisch" anmutenden Riten als "Ketzer".
Das vorliegende Buch rekonstruiert die 700-jährige Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der türkischen Aleviten vom Osmanischen Reich bis zur modernen Republik Türkei auch als Geschichte der Formung des Minderheitenstatus einer islamisch-heterodoxen Glaubensgemeinschaft, die je nach Epoche, politisch-gesellschaftlicher Machtkonstellation und herrschender Ideologie einem Wechselbad von Verfolgung und teilweiser Vernichtung einerseits oder Förderung und gradueller Emanzipation andererseits ausgesetzt war und darauf teils mit offenem Widerstand, teils mit offensivem Eintreten für Gleichberechtigung oder mit Verbergen der eigenen Identität oder auch mit Loyalität reagiert hat.